Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Profil des Lehrbereichs

1. Prämissen

Während sich die politische Philosophie  überwiegend mit den normativen Fragen des menschlichen Zusammenlebens in  einer politischen Ordnung beschäftigt, bietet die politische Theorie  darüber hinaus mehr oder weniger umfassende Interpretationsmuster an, in  deren Rahmen wir die chaotische Mannigfaltigkeit sozio-politischer  Fakten - z. B. die uns über moderne Phänomene wie Totalitarismus oder  Pluralismus überlieferten Informationen geschichtlicher und  struktureller Art - in größere Zusammenhänge einordnen und damit besser  begreifen können. Umgekehrt müssen sich diese Theoriemuster oder  Paradigmen immer auch der Überprüfung durch die Tatsachen des  politischen Lebens stellen und gegebenenfalls korrigiert werden. Auf  diese Weise möchte politische Theorie das bloße Beschreiben politischer  Sachverhalte überwinden und zu einer systematischen Erklärung  politischer Phänomene gelangen.

Aber ein solcher Ansatz kann sich  nicht darauf beschränken, soziale und politische Regelmäßigkeiten zu  erkennen und zu formulieren. Politische Theorie hat nämlich insofern  auch eine gemeinsame Schnittmenge mit der die Resultate der politischen  Philosophie registrierenden Ideengeschichte, als sie sich auch mit der  Frage konfrontiert sieht, ob z. B. ein Regierungssystem und seine  Institutionen bestimmten Legitimationsvorstellungen entsprechen.  Normative Frage, wie eine politische Ordnung beschaffen ist, wenn sie z.  B. den Kriterien der sozialen Gerechtigkeit oder der Integrität des  Individuums entsprechen sollen, müssen daher mitbedacht werden. Anders  als in den übrigen sozialwissenschaftlichen Disziplinen, kommt daher in  der Politikwissenschaft der Beschäftigung mit den Klassikern der  politischen Philosophie (z. B. Aristoteles, Platon, aber auch den  Vertretern des subjektiven Naturrechts wie Hobbes, Locke und Kant sowie  den Repräsentanten des utopischen Denkens wie Morus oder Fourier) eine  besondere Bedeutung zu. Diese ideengeschichtliche Dimension wird noch  dadurch gesteigert, dass sie für eine permanente Selbstreflexion der  kritisch-hermeneutischen Methodik unerlässlich erscheint.

Weiter  ist zu beachten, dass politische Ordnungen und ihre Herrschaftssysteme  sowie die Theorien, mit denen sie legitimiert werden, nur im Kontext  ihrer historischen Bedingungen kritisch rekonstruiert werden können. Ein  solches historisierendes Verfahren, das politische Wertvorstellungen  wie wissenschaftliche Methoden der Gegenwart vor der Gefahr der  Selbstverabsolutierung bewahrt, ist ein unerlässliches kritisches  Korrektiv für die Politikwissenschaft insgesamt. Es schützt das  politische Denken nachhaltig vor kanonisierter Erstarrung mit  teleologischem Zuschnitt. Die historische Dimension kommt aber auch  immer dann ins Spiel, wenn es um die zeitdiagnostischen  Aufgabenstellungen einer so verstandenen politischen Theorie und  Ideengeschichte geht. Zwar können sie insbesondere zu legitimatorischen  Gegenwartsfragen nicht schweigen. Doch ohne den Einbezug des  historischen Hintergrundes der jeweiligen aktuellen Problemlage wären  ihre zeitdiagnostischen Aussagen nur ein Reflex auf das, was ohnehin  geschieht. Anstatt einer den Ereignissen hektisch nacheilenden  punktuellen Bilanzierung gesellschaftlicher Entwicklungstrends stellt  ihnen eine so verstandenen politische Theorie und Ideengeschichte auf  diese Weise ein solides Gesamtszenario entgegen, das durch seine  historische Tiefendimension das jeweilig gesellschaftlich Neue überhaupt  erst zu fokussieren vermag.

2. Die Forschungs- und Lehrfelder

Im Licht dieser Prämissen konzentrieren sich Forschung und Lehre auf  das kritische Projekt der Aufklärung, das nicht nur in seiner  historischen Bedeutung, sondern auch aus der Sicht der aktuellen  politischen Herausforderungen erschlossen wird. Das forschungs- und  lehrrelevante Spektrum reicht von den vertragstheoretischen Positionen  des 17. Jahrhunderts bis zur Gegenwart sowie von den  demokratietheoretischen Positionen der Antike bis zu den  Legitimationsproblemen der politischen Partizipation nach dem  Zusammenbruch der staatssozialistischen Länder in Ost- und Mitteleuropa.  Große Bedeutung kommt aber auch der Auseinandersetzung mit dem  utopischen Denken seit Morus sowie den heutigen postmateriellen  Paradigmen zu.

Diese mehr ideengeschichtlichen Ansätze werden  einerseits ergänzt durch die Auseinandersetzung mit der  Wissenschaftsgeschichte der deutschen Politikwissenschaft im 17. und 18.  Jahrhundert am Beispiel der Staatswissenschaft und andererseits durch  die Problematisierung der politischen Theorie des 20. Jahrhunderts.  Dabei stehen im Zentrum der Analyse jene Versuche, welche die  sozialwissenschaftlichen Anstöße von Marx, Weber, den Austromarxisten  (Bauer, Adler, Renner), der Kritischen Theorie (Horkheimer, Adorno,  Habermas) und des politischen Strukturalismus (Lévi-Strauss,  Barthes, Althusser) zu einem neuen Konzept verdichten wollen, das sich  als postmarxistisch, poststrukturalistisch und postanalytisch  beschreiben lässt (Foucault, Bourdieu, Laclau/Mouffe).

Gleichzeitig  spielen aber auch in Forschung und Lehre Theorien mittlerer Reichweite  wie Parlamentarismus- und Pluralismustheorien, Totalitarismus- und  Faschismustheorien sowie Modernisierungstheorien ebenso eine zentrale  Rolle wie politische Konzeptionen zur Gestaltung der Gesellschaft  (konservative, liberale und sozialistische Positionen,  sozialdemokratische Konzepte, alternative Gesellschaftsentwürfe). Eine  eurozentristische Orientierung der politischen Ideengeschichte und der  politischen Theorie wird am Lehrstuhl durch die Einbeziehung der  wechselseitigen politischen Wahrnehmung zwischen Asien und Europa am  Beispiel der Konfuzius-Rezeption in Deutschland vom 17. Jahrhundert bis heute relativiert.

In  diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass dem Profil des  Lehrstuhls nahe stehende Untersuchungen in der Reihe "Politica et Ars"  veröffentlicht werden.

3. Gemeinsame Schnittmengen mit anderen Lehr- und Forschungs-schwerpunkten des Instituts für Politikwissenschaft

Die Vernetzung mit den Schwerpunkten "Systemanalyse", "Vergleichende  Regierungslehre" und "Internationale Beziehungen / Deutsche  Außenpolitik" besteht vor allem darin, dass die funktionale und  empirische Analyse politischer Institutionen durch ihre (normativen)  Legitimationsaspekte ebenso ergänzt wird wie durch die historische  Rekonstruktion ihrer jeweiligen Genesis. Dabei geht es nicht um eine  unfruchtbare Antithetik zwischen dem empirisch nachprüfbaren Wissen  eines szientifischen Ansatzes einerseits und dem Reflexionswissen einer  politischen Theorie und politischen Ideengeschichte andererseits.

Der szientifische Ansatz hat sein unbestreitbares Recht, wenn es um die quantitativen Aspekte der sozio-politischen  Realität geht. Aber darüber, welchen Sinn und welche Relevanz seine  Befunde haben, kann er ohne normative Kriterien keine Aussagen machen.  Wie einerseits die politische Theorie und die ihr zugeordnete politische  Ideengeschichte auf das empirisch gesicherte Wissen szientifisch  ausgerichteter Ansätze als ihr kritisches Korrektiv nicht verzichten  kann, so wären ohne durch eine über 2000jährige kontinuierliche  Diskussion geprüfte Relevanzkriterien die Resultate jeder empirischen  Untersuchung gleich wichtig. Die Folgen lägen auf der Hand: Wenn die  empirische Untersuchung politischer Gegenstände der Lebenspraxis  entlehnte normative Beurteilungsmaße strenger szientifischer  Selbstbeschränkung opferte, verlöre sie sich in der Erforschung von  Trivialitäten.

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